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Hintergrund
Die Haingeraiden
| Der Streit um die Haingeraide |

Die Haingeraiden, vor der urkundlichen Belegung im 13. Jahrhundert Alimende genannt, waren seit den Tagen ihres Ursprungs gemeinsames Eigentum der hierzu gehörigen Geraidedörfer. Als Haingeraide bezeichnete man früher die Wälder von Wanzenau im Oberelsaß bis Bad Dürkheim in der Pfalz. Es gab 16 Waldbezirke: 1. Wanzenau; 2. der Brumather Wald; 3. der Hagenauer Forst; 4. das Weißenburger Mundat; 5. die Bergzaberner Geraide; 6. die Rothenburger Geraide; 7. die erste Haingeraide mit den Gemeinden: Landau, Albersweiler, Gräfenbausen, Queichhambach, Godramstein, Nußdorf, Frankweiler, Siebeldingen und Birkweiler; 8. die zweite Haingeraide mit: Burrweiler, Böchingen, Dernbach, Flemlingen, Gleisweiler, Ramberg, Roschbach und Walsheim; 9. die dritte Haingeraide mit: Edesheim, Hainfeld, Weyher und Rhodt; 10. die vierte Haingeraide mit: Edenkoben, Venningen, Böbingen, Gommersheim und Altdorf; 11. die fünfte Haingeraide mit Maikammer, St. Martin, Diedesfeld und Kirrweiler; 12. die erste Haardtgeraide (Hambach); 13. die zweite Haardtgeraide (Neustadt); 14. die dritte Haardtgeraide (Deidesheim); 15. die vierte Haardtgeraide (Wachenheim); 16. die fünfte Haardtgeraide (Dürkheim).
Die Entstehung der Waldgenossenschaften ist bis heute in Dunkel gehüllt. Einige Forscher sind der Meinung, der Wald sei ursprünglich im Besitz des Adels gewesen. Lediglich das Nutzungsrecht sei den Bauern zugesprochen worden. Im Laufe der Jahrhunderte hätten die Bauern mehr und mehr Rechte erworben. Es wird ferner angenommen, daß die Franken, als sie etwa um 500 die Alemannen ins südliche Rheintal gedrängt hatten, die Waldungen in Besitz nahmen.
Die Sage erzählt, daß der gute König Dagobert (629-638) den Bauern die Waldungen geschenkt habe, weil sie ihm im Streite wider seine Feinde beigestanden hätten. Der Pfälzer Senatspräsident Albert Decker stellte in der Münchener Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte in wissenschaftlichen Untersuchungen die Behauptung auf, daß König Dagobert der wirkliche Begründer der Waldgenossenschaften sei. Er weist an der Gestaltung der Haingeraiden einen Verwaltungsgrundsatz der ersten fränkischen Herrscher nach, größere Landzuweisungen unter Berücksichtigung des Flußsystems vorzunehmen. So wird hier zum erstenmal auf die auffällige Verschiedenheit in der Größe und im Gestaltbild der einzelnen Geraiden eingegangen. Die Markensetzer des Königs sollen den Wasserläufen, selbst den kleinsten Zuflüssen der Hauptbäche jeder Geraide bis zu den letzten Rinnsalen nachgegangen sein und die Grenzen um dieses Gebiet der Quellen "herumgezirkelt" haben.

Vermutlich haben sich die Haingeraiden aus dem fränkischen Waldrecht, als die Waldungen schon Königswälder waren, aber zur Benutzung jedem freien Bauern zustanden, entwickelt. Das Recht auf ungeteilten Anteil der gemeinsamen Mark, auf Weide, Wald und Wasser führte zu Markgenossenschaften. Das gemeinsame Land wurde Allmende genannt. Jeweils eine Gruppe von Dörfern verwaltete gemeinsam den von Abgaben freien Waldbezirk. Jede der Markgenossenschaften, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts den Wald Heimgereite, später Haingeraide nannten, erstellte ihre Satzungen in Form von Weistümern.
Jede der genannten Geraiden hatte ihr eigenes Gericht (Geraidestuhl), das Recht der Steuerfreiheit und selbständige Verwaltung. Die einzigen Schutz- und Schirmherren waren die fränkischen Kaiser und Könige.
Allmählich aber lockerten die Geraidegenossen selbst ihre rechtliche Stellung. Anlaß hierzu gaben die immer häufiger werdenden Querelen und Streitigkeiten unter sich und mit den Nachbargeraiden. Anfänglich wählten die Geraidegenossen ihre Schlichter selbst oder appellierten an das kaiserliche Gaugericht auf dem Lutramsforst bei Frankweiler. Später wandten sie sich an die Landesherren, ihnen Mittlerdienste und Rechtsbeistand zu leisten.
Die älteste schriftliche Geraideordnung stammt aus dem Jahre 1470. Diese befindet sich im Badischen General-Landesarchiv in Karlsruhe.
"... Item Odesheymer gereide, Odenkober Gereide, sant Martin Gereide, Hanbacher Geraide. In den obengenannten vier Geraiden ist meyn gnediger Herr von Spier Herre und Schirmer; und was Freveln daruff gebrochen werden, stent sinen Gnaden zu ..."
Die Genossen der 3., 4. und 5. Haingeraide haten 1521 den "Schutz- und Schirmhcrrn" ihrer Geraide, Bischof Georg von Speyer, eine Haingeraide- und Rugordnung zu erlassen. Dieses Begehren wurde alsbald erfüllt. Am 1. August (Petri Kettenfeier) 1521 erließ Bischof Georg von Speyer, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Bayern folgende Geraideordnung:
"Nachdem uns mannigfaltige Clag von liehen Angehörigen und Hintersassen und Zentenmeister Kirrwcyler, Edinsheim, Venningen und Edykoben Geraiden Herkommen ist, wie beschwerlich mit dem Rügen gehalten werden..
Der Erlaß befaßte sich hauptsächlich mit der Ahndung der Waldfrevel, "so durch Fremde" geschehen, wobei es im Ermessen des "Oberherrn" stand, jene zu bestrafen, die auf einer anderen Geraide "eine gewalttätige Tat" begingen. Als Letztes forderte der Bischof, daß die Verordnung "nunhinfüro zu ewigen Zeiten gehalten und jedes Jahr uff den Geraide-Stühlen öffentlich gelesen werden, damit jeder wisse, wie er sich zu verhalten habe."
Ein weiteres Mal baten die gleichen Genossen 1559 ihren "Ober- und Schirmherrn Bischof Rudolf von Speyer, eine Ordnung zu machen und zu geben, wie es hinfurt uff gedachter Geraiden mit Abhauen, Schleifen, Nutzung und Verfahren des Holzel, dergl. dem Rueg gehalten werden solle."
Dieses Hinzuziehen der Landesfursten blieb für die Folgezeit nicht ohne einschneidende Folgen. Allmählich ergingen an die Bauern obrigkeitliche Straf- und Waldordnungen. So mischte sich im Jahre 1700 der Bischof von Speyer eigenmächtig in die Angelegenheiten der 3. Haingeraide ein und erließ eine verbindliche Waldordnung. Gleiches tat Bischof Franz Christoph.
In der 4. Haingeraide wußte der Pfälzer Kurfürst seine Stellung so zu nützen, in dem er den Edenkobenern während des genannten 3Ojährigen Waldkrieges mit Venningen 1721 - 1751 förmlich Befehle und Verordnungen in Geraidesachen gab und zu deren Befolgung unter Strafe verpflichtete.

Nicht alle Geraiden nahmen diese gewaltsamen rechtlichen Wandlungen einfach hin. Die Genossen der 3. Haingeraide leisteten im Kampf um ihre letzten Rechte heftigen Widerstand. 1757 erließ Fürstbischof Franz Christoph eine aus 104 Paragraphen bestehende Geraide- bzw. Waldordnung, die die Rechte der Waldgenossen erheblich einschränken sollte. In dem nun entstandenen Prozeß wiesen die Bauern den Anspruch des Speyerer Bischofs auf die superioritas territorialis ihrer Geraide energisch zurück und vertraten entschieden den Rechtsstandpunkt, daß das Gebiet ihrer Geraide ein eigenes Territorium bilde, in dem einzig und allein dem Geraidestuhl die Rechte der Selbstverwaltung und der Gerichtsbarkeit zukomme. Kaiser Franz unterstützte die Genossen der 3. Haingeraide und richtete am 7. September 1758 ein Schreiben an den Bischof von Speyer, in welchem er diesen verpflichtete, die Geraidegenossen in ihrem uralten Besitz und der Verwaltung der Geraidegerechtigkeiten nicht zu beeinträchtigen.
Die Stürme der französischen Revolution blieben nicht ohne Einfluß auf die bestehenden Rechtsverhältnisse.
Durch einen Erlaß am 10. März 1802 wurden die Gemeindewälder unter staatliche Aufsicht gestellt.

Die Rechte der Haingeraidegenossen

Geraidegenossen waren diejenigen, die Grund und Boden besaßen, ausgeschlossen Landesfürsten oder deren Personal, Adelsgeschlechter, Klöster sowie Juden. Nur in der fünften Haingeraide erhielten die Dalberger auf der Kropsburg und die Grafen von
Oberstein begrenzte Privilegien. Bischof Georg verlieh 1518 dem Grafen Philipp von Dalberg "aus Gnaden, von keiner Gerechtigkeit wegen, sein Leben lang"Jagdrechte in der Geraide. 1744 verlangte Graf August Philipp Holz zum Ausbau der Kropsburg. Die Bauern wehrten sich. Der Graf konnte alte Zugeständnisse geltend machen und ging als Sieger aus dem Streit hervor.
Alle Geraidegenossen hatten gleiche Rechte. Jeder war berechtigt, Bau-, Brenn- und Kammertholz, sowie Sand, Steine, Streuwerk und Gras zur eigenen Nutzung zu beziehen. Außerdem hatte er das Recht der Weide und des Viehtriebs insbesondere der Schweine zur Eichel- und Buchelmast. Auch die Steinbrüche standen den Geraidegenossen offen.
Nur an bestimmten Tagen wurde den Bauern erlaubt, Streuwerk und Brennholz zu holen. Fällungen zu Klafter- und Stammholz geschahen durch die Waldknechte unter Aufsicht der Förster. Größere Holzmengen erhielten nur die Genossen, die einen Antrag auf Zuweisung gestellt hatten. Der Schultheiß überprüfte das Gesuch und genehmigte es, so er die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Bedarf wahrheitsgetreu gemeldet wurde. War nun eine außerordentliche Fällung notwendig, so mußte der Schultheiß den Förster anweisen, das benötigte Stammholz zu "weisaxten" (mit der Waldaxt kennzeichnen). Entnahme von nicht geweisaxtem Holz erwirkte eine Einung (Strafe). Es kam oft vor, daß die Geraidegenossen sich nicht an diese Bestimmung hielten. Die noch vorhandenen Einungsregister zeigen, daß die Zahl der Zuwiderhandlungen oft sehr hoch war.
Kastanien durften nur von einem festgesetzten Tag an gelesen werden.
Das "Eckerich" (Eichen- und Buchenfrucht) nützten besonders die am Wald gelegenen Geraidedörfer zur Mästung ihrer Schweine reichlich aus. Deshalb wurde die Zahl der "einzuschlagenden" Tiere festgesetzt.
Ursprünglich hatte jeder Geraidegenosse das Recht auf Ausübung der Jagd. Mit der Zeit ging dieses Recht nur auf die nahe beim Wald gelegenen Dörfer über. So waren z. B, in der 4. Haingeraide die Dörfer Altdorf, Böbingen und Gommersheim von der Jagd ausgeschlossen. In manchen Geraiden stand auch dem Landesfürsten das Fischerei- und Jagdrecht zu, so in der 3., 4. und 5. Waldgenossenschaft dem Bischof von Speyer. Doch wurde ihm diese Befugnis, die 5. Geraide ausgenommen, wieder streitig gemacht.

Organisatorisches

Jede Gemeinde hatte ihren Beitrag an der Geraideverwaltung zu leisten. Maikammer als Sitz der 5. Haingeraide stellte den Schultheißen, Kirrweiler den Waldmeister, Diedesfeld die Weißaxt und St. Martin an der Geraide Gerechtsame (Kontrollrecht).
Außer den Genannten gab es den Geraideschreiber und den jedes Jahr abwechselnd aus den vier Dörfern zu wählenden Zehntmeister. Dieser mußte die Geraiderechnungen führen und mit 8 - 12 Knechten die Waldarbeiten verrichten. Der Zent- oder Zehntmeister war der bedeutendste Beamte in der Geraideverwaltung. Ihm mußten die Bauern, meist ein Jahr voraus, ihren Bedarf an Stammholz melden. Nach Rücksprache mit dem Geraidevorstand oder Schultheiß riß er mit der Weis- oder Loochaxt die Bäume an, die gefällt werden durften.
(Das Wort Zent kommt von Centenari, das römischen Ursprungs ist. Es bezeichnet in fränkischer Zeit die Beamten, die einer Centena, einem Königsgut vorstanden.)
Jedes Jahr, meist am Montag vor Aschermittwoch oder Aschermittwoch selbst, berief der Schultheiß die Geraide-Vollversammlung ein. Diese fand am Geraidestuhl, ein auf vier Säulen stehendes Häuschen, in Maikammer statt. (Bei der Ampel, Kreuzung B 38, Bahnhofstraße.)
Bei Regen oder Kälte begab man sich ins Gemeindehaus. Der Schultheiß oder der Amtsschreiber verlas die Geraideordnung, die die Bauern über ihre Rechte und Pflichten informierte. (Stammholz durfte nur bei gutem Schein, zunehmenden Mond, gefällt werden.)
Der Zentmeister nannte die zum Kahlschlag ausgewiesenen Distrikte. Die Förster veröffentlichten die "Einungen". (Buß- und Strafgelder) Gesuche und Beschwerden der Bauern und Winzer wurden überprüft. Erst, nachdem alle sich durch Essen und Trinken gestärkt hatten, löste sich die Versammlung auf.
Es war althergebracht, jedes Jahr vier Förster zu wählen, auf Aschermittwoch je einer zu Maikammer und Diedesfeld, auf St. Jakobustag je einer zu St. Martin und Kirrweiler.

Änderungen und Einschränkungen

Mit der Zeit traten einige Einschränkungen und Änderungen in den Rechten der Geraidebauern ein. Im Jahr 1576 richteten die St. Martiner an den Bischof von Speyer ein Schreiben zwecks Übereignung des Feldes, das Hart genannt wurde. "er möge gewähren, daß sie auf dem Feld, die Hart genannt, das unter der Kropsburg öde gelegen, die Hecken und Kleestöcke aushauen, um Frucht und an etlicher Orten Wieswachs darin zu erzielen". Den Zehnten wollten sie dem Bischof von Speyer entrichten.
Am 23. August 1576 wurde durch den bischöflichen Schaffner von Kirrweiler, Philipp Dierolf, das unterhalb der Kropsburg gelegene Flurstück, die Hart genannt, von der Haingeraide getrennt und der Gemeinde St. Martin übergeben. Dafür sollten die übrigen Dörfer der 5. Haingeraide an Martini 16 Gulden erhalten. Für die Weinberge, die an der Hart angelegt wurden, durfte in den darauffolgenden acht Jahren kein Holz aus der Geraide bezogen werden. Bei Zuwiderhandlungen mußten 15 Gulden Strafe bezahlt werden.
Die einschneidendste Veränderung brachte die Französische Revolution mit sich. Die neuen Machthaber erklärten den Wald zum Staatseigentum. Mit dieser Verfügung gingen der Geraiden Reichsunmittelbarkeit, die Steuerfreiheit, die Gerichtsbarkeit und unabhängige Verwaltung endgültig verloren.
In den fünf Haingeraiden zwischen Queich und Speyerbach empörten sich die Bauern. In manchen Dörfern gelang es den Geraidevorstehern nicht, die wutentbrannten, randalierenden Bauern im Zaume zu halten. Herbeigerufene Truppen mußten für Ruhe und Ordnungsorgen.
In den folgenden Kriegs- und Besatzungszeiten wurde viel zerstört. Durch rücksichtslosen Raubbau gingen ganze Waldgebiete zugrunde.
Mit der ständig wachsenden Einwohnerzahl in den ehemaligen Geraidedörfern stieg auch der Holzbedarf.
Keiner traute mehr dem andern. Maikammer glaubte, St. Martin, durch seine Lage begünstigt, zöge den größten Nutzen aus dem Wald.

Die Teilung der 5. Haingeraide

Zwischen den Einwohnern der Gemeinden Maikammer und St. Martin kam es oft zu Unstimmigkeiten, die zu Tätlichkeiten ausarteten.
Um diesen Auswüchsen ein Ende zu setzen, einigten sich die vier Bürgermeister, den Wald zu teilen. Am 16. Mai 1820 stellten sie auf dem Landeskommissariat in Landau den Antrag auf Teilung. Die Genehmigung durch die königliche Regierung des Rheinkreises erfolgte bereits am 20. Mai. Der Kreisforstmeister Dreßler leitete die Vermessung, Abschätzung, Ausgleichung und Heimweisung der einzelnen Anteile. Die Gesamtfläche des Waldgebietes der 5. Hainraide betrug 3 023 Hektar, 81 Ar und 94 Quadratmeter. Davon erhielt Maikammer wegen seiner höheren Einwohnerzahl ein Zwanzigstel im voraus, der Rest sollte zu vier gleichen Teilen bemessen werden. Im Jahr 1822 wurden die Log- oder Grenzsteine gesetzt.
Am 8. August 1823 erschienen vor dem Notar Karl Medicus in Edenkoben die vier Bürgermeister Georg Friedrich Seeber (St. Martin), Daniel Reinig (Maikammer), Jakob Gieß (Diedesfeld) und Caspar Becker (Kirrweiler), um die Teilungsurkunde zu unterzeichnen und im Empfang zu nehmen.
Quelle: St. Martin - Geschichte eines Dorfes von Cäcilie Ziegler, erschienen 1984 in der pfälzischen Verlagsanstalt